Autogene Kreativität


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Geschrieben von waldi am 07. Oktober 2023 22:14:35:

Als Antwort auf: Kenn ich ! geschrieben von Werner am 06. Oktober 2023 00:50:56:

Servus Werner,

interessanterweise hatte ich mit Schweißen nie Probleme. Zum Einen, weil es mich interessiert hat, da mein Vater etwas konnte, was ich gerne können wollte, er es mir aber nicht beibringen konnte.
Im 2 Jahr meiner Ausbildung gab es auch einen Schweißlehrgang - mit Autogen.
Und da muss ich Henzo Recht geben, mit dieser Technik entwickelt man ein wirklich gutes Gefühl für das, was da passieren soll. Allerdings ist das fürs private Üben zu teuer und seien wir ehrlich, für den Hausgebrauch nicht mehr zeitgemäß.
Also, Schweißerlehrwerkstätte in MZ-Hechtsheim.
Es war Januar und damals waren die Winter tatsächlich noch kalt. Saukalt.
Als wir dort ankamen, meinte einer der Schweißlehrer, dass wir NICHT in der Halle arbeiten könnten. Da ist es schön warm drin, aber kurzfristig hätten sie einen Kurs für MIG/MAG-Schweißer reingekriegt und die müssten halt mal bevorzugt behandelt werden.
Berufsschüler sind da nicht so wichtig crazy.
Aaaber das sei ja nicht so schlimm, denn draußen hätten sie 2 vollausgestattete Container stehen, wo das auch ganz gut geht. Nachteil, wir würden in 2 Gruppen aufgeteilt werden, und - es ist nicht ganz so warm da drin depri.
In diesen Containern befanden sich jeweils 8 Arbeitsplätze bestehend aus Schraubstock, bzw. Spannvorrichtung, Brenner mit Halter und Ablage.
Der Halter war ein 30 oder 40 cm langes 1/2" Wasserleitungsrohr, drehbar montiert mit einer Gabel daran. Wenn man den Brenner dort einhängte schloss der Hebel die Ventile, sodass nur noch eine kleine Pilotflamme von reinem Acetylen brannte. Spart unheimlich viel Gas und Sauerstoff.
Unser Lehrer, der Herr Kagelmann war schon ein älterer Herr, den wir Jungen als ziemlich uncool empfanden. Er war absolut korrekt und fachlich wesentlich besser, als wir alle zusammen, aber so den Draht zu uns konnte er nicht aufbauen. Ich, und die beiden anderen Abiturienten kamen besser mit ihm klar, wahrscheinlich, weil wir schon älter waren. Die anderen Lehrlinge waren gerade mal knapp 16.
Und dieser Herr Kagelmann, wenn er denn so Aufsicht führte und nicht wirklich was zu tun hatte begann im Container zu frieren. Also verdrückte er sich regelmäßig in die benachbarte Halle zu seinem Kollegen auf ein Käffchen.
Wie gesagt, er war schon älter und das Gehen fiel ihm auch schwer. Knie, Hüfte, weiß der Geier. Wenn etwas war, brauchte er gut 4 Minuten, bis er von der Halle wieder im Container war.
Irgendwann kam mein ehemaliger Mitschüler vom Gymnasium und jetziger Mitschüler in der Berufsschule auf die Idee, zu testen, um wieviel man den Herrn Kagelmann beschleunigen könnte. Dazu hängte er den Brenner auf die Gabel und bließ die Pilotflamme aus um dann den Brenner wieder aufzunehmen und die Düse in das Halterrohr zu halten.
Nach ausreichender Zeit hielt er noch seine Kippe vor das Rohr und es tat einen gewaltigen Schlag, der sich ob der Blechernen Containerwände von außen nochmals heftiger anhörte.
Kaum war das Wow und Boah ey verstummt, stand auch schon der Herr Kagelmann bleich, wie ein Leichentuch im Türrahmen.
Dass wir ab dem Zeitpunkt keine Spaß mehr hatten, brauche ich nicht zu erwähnen. Wir haben eine ganze Woche gebraucht, bis wir ihn dann wieder von unserer Zuverlässigkeit überzeugen konnten und ihn wieder lockerer gekriegt haben.

Abgesehen von dieser Geschichte, ich war, ohne mich beweihräuchern zu wollen der Beste dieses Kurses.
Warum? Naturtalent, hatte ich damals angenommen.

Es ist jetzt ziemlich genau 10 Jahre her, dass ich mir von einem Russen damals die UniWIG 200 gekauft habe.
Ein Industrieschweißgerät, was prinzipiell was taugen sollte. 32A Drehstrom nimmt sich das Ding, aber egal, für das Ego kann das nur gut seinjoker.
Das war die Zeit des Wirbelrohrauspuffes.
Und WIG ist vom Prinzip her ja eigentlich nichts anderes, als Autogen.
Die UniWIG hatte einige Macken, von denen ich nichts wusste. Eine davon war, dass sie auf Automatenbetrieb umgebaut war, ich das aber nicht verstanden habe.
Ein Echter Messer-Spezi hat das dann gerichtet. Aber meine Schweißergebnisse waren einfach nur elend. Ich habe an mir selbst gezweifelt. Zuerst Held des Kurses und dann nix auffe Kette kriegen. Ich verstand es einfach nicht.

Zur selben Zeit begab es sich, dass ich immer mehr Probleme auf der Arbeit hatte. Kopfschmerzen, Ausgebrannt, die Bildschirmarbeit machte mich sowas von fertig. Ein Besuch beim Werksarzt brachte zu Tage, dass ich mal zum Optiker gehen solle um mir eine Brille machen zu lassen.

Und was soll ich sagen? Ich habe dann mal mit Brille geschweißt.
Selten so eine Offenbarung erlebtparty.
Ich habe endlich wieder gesehen, was da vorne an der Düse/WIG-Elektrode passiert. Ich habe endlich wieder das Schmelzbad gesehen und konnte mein Zusatzmaterial hinzugeben, wann es nötig war, und habe nicht mehr auf Verdacht da rumgestochert.

Lange Rede kurzer Sinn:
Werner, auch Du kannst schweißen. Mit Deinem Faible für Präzision und dem Bedürfnis alles verstehen zu wollen, bin ich der Überzeugung, dass Du das sogar richtig gut hin bekämst.
Einzig, Du musst zweifelsfrei sehen, was sich an Brenner, oder Elektrode tut.
Den Brenner zwischen Dir und dem Schmelzbad zu platzieren, wird nichts.
Du brauchst zwingend freie Sicht.
Der Rest ist Übung. Ich gebe Dir maximal 2 Tage, dann kannst Du für Dich durchaus zufriedenstellende Ergebnisse in den häufigsten Anforderungen erreichen.
Und ich wette, Du hast damals einfach nur falsch geguckt, und keiner Deiner Lehrer hat es begriffen.

Genau das ist das Geheimnis meines damaligen Heldentums. Kein Naturtalent, sondern einfach nur gesehen, was ich gemacht habe.

Viele Grüße

Waldemar

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