Massive Vorschriften


[ FMSO.DE - Fahren mit Salatöl (deutsch) ]


Geschrieben von Werner am 14. Januar 2020 23:30:31:

Als Antwort auf: Re: Oh doch! geschrieben von Wehner am 14. Januar 2020 17:44:29:

Moin,

die gibt es tatsächlich, und der Germanische Lloyd versteht keinen Spaß bei den Abnahmen. Allerdings sind Schiffe keine Autos, wo in hunderten Datenblättern alles erfasst ist und Abweichungen mal erst per se unzulässig sind.

Es müssen Nachweise geführt werden und die Surveyor wollen die sehen. Sie schauen dabei aber nicht in Datenblätter, weil es die für die Schiffe in der Form nicht gibt, sondern lassen sich Berechnungen etc. zeigen und setzen dann ihr ok darunter. Schiffbau ist in der Regel kein Serienbau. Es gibt zwar baugleiche Schwesterschiffe, aber die werden dann immer als neues, eigenes Schiff abgenommen - wenngleich auch mit Blick auf die Zulassung des Vorgängers.

Wer also mit seinem Auto zum TÜV fährt und die richtigen Teile eingebaut hat, der kann die Abnahme bekommen, auch wenn er gar nicht weiß, was das einzelne Teil tut oder wie es belastet wird. Beim Schiff wollen die Leute keine Teilenummern sehen, sondern das Gesamte richtig erklärt wissen. Bei den Maschinen gibt es Serien und auch markierte Teile, die nicht ausgetauscht werden dürfen gegen andere, z.B. Kurbelwellen. Diese sind dann aber vorher im Werk auch einer Einzelprüfung unterzogen worden - häufig vom gleichen Menschen, der hinterher auch an Bord ist.

In unserem Fall war die Sache sogar extrem streng. Es ging um die Belüftung des Hüllrohres für die Hochdruckgasleitung, die in den Maschinenraum führt zur Speisung des Dicken. Im Maschinenraum läßt sich die Ex-Zone nicht einhalten, dafür sind zu viele heiße Teile in Betrieb. Also darf die Gasleitung nicht einfach quer durch den Raum zur Maschine geführt werden, weil bei Leckagen großes Ungemach drohen würde. Immerhin stehen die Gasleitungen bei den HD-System unter 380 bar. Man baut also ein Rohr um das Rohr und dichtet alles so ab, dass nichts mehr offen zum Maschinenraum bleibt. Sodann zieht eine kleine Luftpumpe ständig frische Luft durch dieses Hüllrohr und befördert sie wieder ins Freie. An der Pumpe sind Gassensoren, die bei Leckagen Alarm schlagen und sofort die Gaszufuhr unterbrechen und das letzte Stück der Zuleitung drucklos machen.

Schwierigkeit: wenn die Luftpumpe Luft von außen ansaugt und durch den Hüllrohr zieht, strömt von außen feuchte Seeluft nach, die sehr bald in dem Hüllrohr ihr Unwesen treiben würde. Daher wird vor den Ansaugschnuller ständig eine Verlustmenge getrockneter Luft ausgeblasen, die dann in das Hüllrohr eingesaugt wird. Das System muss offen bleiben, das ist Vorschrift. Sonst könnte evtl. etwas blockiert werden. Und um diese Menge getrockneter Luft ging es.


Das ganze kostet freilich etwas mehr, als ein Auto durch den TÜV zu bringen, aber wenn die Schiffe gut laufen, bringen die das Geld schnell wieder rein. Wenn sie schlecht laufen, treiben sie den Reeder auch entsprechend schnell in den Bankrott. Daher sausen Agenten durch die Szene, die ständig nur schauen, was ein Schiff wert ist, in welchem Zustand es ist und wer es vielleicht gebrauchen könnte. Bisweilen etwas nervig die Typen, ähnlich wie Wohnungsmakler, aber sobald ein Schiff seine Kohle nicht mehr reinbringt, wissen diese Leute schon jemanden, der damit besser was anfangen kann. Das geht ruckzuck und der Dampfer ist veräußert. Andere Flagge hissen, evtl. die Mannschaft austauschen => fertig! Die Agenten leben von der Provision.

Eine Bulk-Schiffsladung, wenn sie von USA nach Europa gefahren wird, kann während der Reise bis zu 20 mal ihren Besitzer wechseln. Da laufen rund um die Uhr die Computer bei den Dispatchern und jeder Cent wird genutzt. Deshalb kommen Frachtschiffe auch häufig gar nicht da an, wo man sie erwartet. Die haben dann unterwegs Order gekriegt, die Kram woanders abzugeben, weil es dort vielleicht 50 Dollar mehr pro Tonne gibt.

Wir haben uns am 22. Dezember reisefertig gemacht, um ein Terminal zu betreuen, wo das anlandende Schiff zum ersten Mal Propan liefern sollte. Wir waren extrem gut gelaunt, dass uns das jetzt noch zu Weihnachten erwischt. Aber was solls, ist ja der Job! Und dann kam um 16:30 Uhr die E-Mail, das Schiff sei innerhalb des Hafens (sehr großer Hafen mit über 1000 Liegeplätzen, der größte in Europa) zu einem anderen Gaslager gefahren, also quasi kurz vorher abgebogen. Wir waren nicht böse drum. So läuft das. Kann morgen sein, dass die Trillerpfeife ertönt und wir wieder losfahren.

Gruß

Werner

Wie lesenswert findest Du diesen Beitrag?                 Info zur Bewertung




Antworten:


[ FMSO.DE - Fahren mit Salatöl (deutsch) ]